Grundsätzliche Überlegungen zum Thema kulturelle Kompetenz:Beim Transfer auf die Bedingungen des Klassen- oder Gruppenunterrichts an allgemeinbildenden Schulen in Westeuropa spielt bei den pädagogischen Hintergrundüberlegungen immer zum einen dieser

- Moment der Extraktion eines Inhalts aus seinem kulturellen Kontext eine Rolle zum anderen

- der eher didaktische Aspekt der Reduzierung von technischer Schwierigkeit.

Kein Musikpädagoge kann sich der Eigenverantwortung im Hinblick auf diese beiden Aspekte entziehen und in der Lehrerausbildung können wir dazu beitragen, diese Verantwortlichkeit bewusst zu machen und das zu entwickeln, was ich als kulturelle Kompetenz bezeichne. Das meint unter anderem einen gewissen Respekt im Hinblick auf die Verwendung kulturbezogener Ausdrucksformen immer

- im klaren Bewusstsein ihrer Funktionalität im Kulturgefüge und für die beteiligten Kulturträger (Identitätskonstruktion) und

- im Bewusstsein einer pädagogisch reflektierten neugierigen Differenzwahrnehmung und

- im Bewusstsein eines didaktisch am interessierten und mimetisch motivierten Laien orientierten reduzierten Zugriffs, dessen Reduktionsgrad auch ihm bewusst werden sollte.

Diese ethisch zu nennende Verantwortung sind wir bei emanzipatorischer Sichtweise kultureller Systeme anderen Kulturen schuldig und leider wird nicht immer in pädagogischen Materialien, die unter dem Label der sogenannten interkulturellen Musikerziehung erschienen sind, dieser Anspruch spürbar.

Vice versa kann jedoch das Gefühl der Nachhaltigkeit bei einem Kultur-Kontakt nur dann entstehen, wenn für den mimetisch oder reflexiv, mittelbar oder unmittelbar Beteiligten ebenfalls Viabilität entsteht, d. h., eine identitätsrelevante Bedeutung und Erfahrung. Deshalb ist es neben der erfahrungseffektiven reflexiven Differenzwahrnehmung legitim, auf anthropologische Grundkonstanten zurückzugreifen. Funktionieren und Trainieren von Körperkoordination z. B. können als solche gesehen werden, da sie in jedem kulturellen Kontext unabhängig vom kulturgebundenen kinetischen Habitus benötigt werden.

Damit legitimiert sich dann z. B. die kinetische Übertragung von perkussiven Übungen auch auf Perkussionsinstrumentarium aus anderen kulturellen Kontexten. Jugendliche in europäischem Zusammenhang interessieren sich oft für Perkussion, respektive Schlagzeug, da dieses Instrumentarium und noch viel mehr sein Gesamtklangbild wesentlicher Bestandteil des sonischen Grenzmarkenvorrates der kulturellen Systeme ist, die für Jugendliche identitätsrelevant sind.

Darin kann eine Viabilitäts-Motivation liegen, sich mit perkussiven Spieltechniken und grundlegenden Arm-Koordinationsübungen auseinander zu setzen. Nichts spricht auch gegen eine spätere Übertragung der Übungen (Bezugspunkt sind die "Basic Exercises" für die sri lankische Tamätamä: http://www.ethnomusicscape.de/tamaeweb.htm) auf die Tom Toms eines Schlagzeugs. Wenn sie aus einem anderen kulturellen Zusammenhang stammen, so kann das wiederum die Basis für Respekt dieser Kultur gegenüber werden und Ausgangspunkt, um mehr darüber zu erfahren. So schließt sich der Kreis.

Martina Claus-Bachmann, 2014; weitere Überlegungen hier...